Explosive Ware unter der Strasse im Hardwald
Eine heisse Ladung Sprengstoff lag einst unter der Schaffhauserstrasse im Hardwald bei Bülach. Soeben hat man einen Teil des Waldes für den Strassenbau gerodet, jetzt sieht man die Sprengstollen.
Eine heisse Ladung Sprengstoff lag einst unter der Schaffhauserstrasse im Hardwald bei Bülach. Soeben hat man einen Teil des Waldes für den Strassenbau gerodet, jetzt sieht man die Sprengstollen.
Bülach. Christoph Zenger (48) aus Wallisellen und Hanspeter Bürki (84) aus Opfikon stapfen durch den gerodeten Waldstreifen neben der Nord-Süd-Achse, die durch den Hardwald führt. So zwischen 300 und 400 Bäume wurden unter der Federführung des Bülacher Stadtförsters Thomas Kuhn am letzten Wochenende gefällt. Denn die Schaffhauserstrasse zwischen dem Anschluss Bülach Nord und dem Kreisel Chrüzstrass wird bekanntlich auf fast drei Kilometern Länge zur vierspurigen Strasse ausgebaut.
Hanspeter Bürki, der ältere der beiden, ist nicht mehr gut zu Fuss. Mit einem Holzstock läuft er über den unebenen Waldboden und die Radspuren, die das schwere Gefährt der Holzfäller hinterlassen hat. Die zwei Männer, die sich von der Gesellschaft der Militär-Motorfahrer des Kantons Zürich (GMMZ) kennen, haben ein bestimmtes Ziel vor Augen: Jetzt, wo die Waldfläche gerodet ist, möchten die zwei Kumpel das «Sprengobjekt M0745, Hard, Bülach», wie es im Militärjargon heisst, aus der Nähe betrachten. Vier Sprengstoffstollen sind im Abstand von wenigen Metern nebeneinander aufgereiht; sie stammen aus der Zeit des Kalten Krieges. Auf der vom Bund betriebenen Onlineplattform Swisstopo seien die militärischen Objekte gut sichtbar, erklärt Zenger. Sie seien aber nicht erst jetzt auf das militärische Objekt mit der einst heissen Ladung gestossen.
Zenger hat bereits vor ein paar Jahren vom Sprengobjekt M0745 erfahren, denn ein Kollege gab ihm den Tipp. Er fand es auch auf dem digitalen Höhenmodell im GIS-Browser des Kantons Zürich: Trotz des damals dichten Waldbewuchses zeige die digitale Luftansicht eine Geländevertiefung mit vier schwarzen Einbuchtungen, direkt am östlichen Fahrbahnrand der Schaffhauserstrasse, nur wenige Meter von der Forsthütte Hard. Bei den schwarzen Einbuchtungen handelt es sich um die vier Sprengstollen, wie ihm schliesslich ein Augenschein bereits 2018 bestätigte. Zu seiner Freude war eine der vier Türen der Sprengstollen offen und er entdeckte die Spuren einer Kernbohrung. «Sie verriet, dass das Sprengobjekt M0745 einst geladen war und im Zuge der Aufhebung der Sprengobjekte entladen respektive desarmiert wurde», sagt Zenger mit Kennerblick und fügt hinzu: «Es war damals wohl kaum einem Autofahrer bewusst, dass er als Pendler tagtäglich über mehrere Hundert Kilogramm Sprengstoff fuhr.»
Der Blick hinter die Türen der Sprengstollen ist Interessierten heute jedoch verwehrt, denn alle vier Türen zu den Stollen sind verschweisst. Die Waldfläche ist gerodet, deshalb haben Hanspeter Bürki und Christoph Zenger beschlossen, das Sprengobjekt ein letztes Mal aufzusuchen und den Ort fotografisch zu dokumentieren, bevor dieser militärhistorische Zeitzeuge für immer verschwindet. Denn das Sprengobjekt aus dem Kalten Krieg steht der geplanten Strassenerweiterung im Weg und wird gemäss der kantonalen Baudirektion wohl zurückgebaut.
Hätte man die Sprengladung gezündet, wäre ein gewaltiger Teil der Hardwald-Strasse in die Luft geflogen. Ein damals aus militärischer Sicht wichtiger Ort, der keine 15 Kilometer von der Landesgrenze entfernt liegt. Die Schweiz, das kleine Alpenland, war voll von solch hochexplosiver Fracht. Die Angst vor den Panzern des Warschauer Pakts war zu Zeiten des Kalten Krieges gross, im Rahmen des «Permanenten Sprengdispositivs 75» hat die Landesverteidigung Hunderte von Objekten mit Sprengstoff ausgerüstet. Nicht nur entlang der Grenze, sondern auch an strategisch wichtigen Orten innerhalb der Schweiz waren die Sprengladungen zu finden, häufig an Strassen und Tunnels. Gemäss Armeekreisen wurden die letzten Sprengobjekte spätestens Ende 2014 desarmiert. ⋌Roger Strässle
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