«Wir alle sind eingeladen, das Licht von Weihnachten weiter zu tragen»: Weihnachtsdekoration in der Kirche ETG, Rümlang. Bild: zvg
Es war an einem Donnerstag während der Adventszeit. Ich hatte am Nachmittag ein berufliches Treffen in der Stadt Zürich geplant. Da meine jüngste Tochter, welche in der 1. Klasse ist, an diesem Tag frei hatte, nahm ich sie mit. Nach meinem Treffen fuhren wir zusammen mit dem Tram dem Bellevue entlang bis zum Paradeplatz. Mit grossen Augen schaute sie aus dem Fenster und bestaunte die tausend Lichter, welche die Nacht erhellten. Dann kehrte sie sich plötzlich zu mir um und meinte: «In Rümlang haben wir nicht so viele Lichter.» Sie machte eine kurze Pause, überlegte scharf und ergänzte: «Aber wir haben ja noch zwei Wochen Zeit, die Lichter im Dorf aufzuhängen.» In ihren Kinderaugen strahlte die Hoffnung, dass es auch in diesem Jahr, in unserem Dorf – in unserer Welt – hell werden könnte.
Doch wie soll das gehen? In diesem Jahr leuchten merklich weniger Lichter in Fenstern und in Gärten. Die Gründe dafür liegen auf der Hand und sind uns allen bekannt. Auch wenn für einmal die Fussball-WM in der Adventszeit stattfindet. Wirklich Licht bringt sie uns nicht, im Gegenteil. Auch unserer Nationalmannschaft wurde der Stecker gezogen, innert weniger Minuten war ihr Licht «ausgeknipst». Mit Blick auf das Kriegsgebiet wirken die langen Abende noch dunkler, die kalten Nächte noch kälter. Manchmal beschleicht mich das dumpfe Gefühl, dass die Dunkelheit überhandnehmen könnte. In unserer Welt. In unserem Dorf. In unserem ganz persönlichen Leben.
Doch eine Episode aus meiner Primarschulzeit gibt mir Hoffnung. Wir besuchten in einem Klassenlager eine Höhlengrotte. Dabei war es so dunkel, dass wir nicht einmal mehr die Hand vor dem Gesicht sehen konnten. Doch als unser Lehrer ein kleines Streichholz anzündete, war es in Sekundenschnelle hell, die Dunkelheit war vertrieben. Damals ging mir ein Licht auf: Egal, wie dunkel es um mich herum ist, das Licht ist immer stärker.
Einige tausend Jahre, bevor die Menschheit das erste Mal Weihnachten, die Geburt von Jesus, gefeiert hat, heisst es in der Bibel Folgendes: «Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein grosses Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell … denn uns wird ein Kind geboren.» An dieser Stelle wird also vorausgesagt, dass eines Tages ein Kind die Nacht erhellen wird. Jesus, als er mit 30 Jahren als jüdischer Lehrer auftrat, sagte den Leuten, dass er dieses Licht für die Welt sei. «Deine Worte sind unglaubwürdig», wurde ihm entgegnet. Ob Jesus das Licht für diese Welt ist oder nicht, darüber sind sich die Menschen seit 2000 Jahren uneinig. Was mich selber aber herausfordert, ist das Gespräch von Jesus mit Menschen seiner Zeit. Er sagte, dass sie ein Licht für diese Welt seien. Und weiter, rief er sie auf: «Stellt dieses Licht nicht unter ein Gefäss! Sondern platziert es an einem Ort, wo es den Menschen in eurer Umgebung leuchtet.»
Wir alle haben die Möglichkeit, ein Licht für andere zu sein. Ein Licht für all jene, die im Finstern sitzen, denen der Stecker gezogen wurde. Denen, die hoffnungslos sind, deren Mut und Zuversicht sich verflüchtigt hat. Für Menschen, die ein schwieriges 2022 hatten, geprägt von Leid, Krankheit, Unsicherheit. Eine kleine Geste kann für einen Moment das Dunkel erhellen: ein freundliches Wort, eine aufmunternde Sprachnachricht, ein Säckli Weihnachtsguetzli oder sonst eine kleine Aufmerksamkeit.
Auch wenn in diesem Jahr während der Weihnachtszeit weniger Lichter brennen, heisst das noch lange nicht, dass es in unseren Leben dunkel bleibt. Sehen Sie die Hoffnung in den Kinderaugen, dass es auch in diesem Jahr, in unserem Dorf – in unserer Welt – hell werden könnte, weil Menschen ein kleines Licht für andere anzünden? Sehen Sie, wie dunkle Orte hell werden und Beziehungen, die erkaltet sind, wieder Herzen erwärmen? Ein Hoffnungslicht in hoffnungsloser Situation. Wir alle sind eingeladen, das Licht von Weihnachten weiterzutragen.
Von Herzen wünsche ich Ihnen ein freudiges Weihnachtsfest. Möge in Ihrem Zuhause, in Ihrem Quartier und in Ihrem eigenen Leben das Licht nicht ausgehen oder neu entzündet werden – auch 2023.
Philipp Baumann
Pastor Kirche ETG Rümlang